Ziegel, Ruß und Seifenschaum in Kathmandu
Unsicher strecken die Kinder ihre Hände aus und folgen den geschmeidigen Bewegungen und Anleitungen ihrer Lehrerin im bunten Sari. Erst als es zwischen den Fingern die Seife schäumt, huscht ein Lächeln über ihre Gesichter. Jyoti Devkota ist keine Tanzlehrerin sondern Gesundheitshelferin in einem Projekt für Ziegelarbeiter am Stadtrand von Kathmandu. Sie unterrichtet die Kinder darin, wie sie sich gründlich die Hände waschen und so vor Infektionskrankheiten schützen können. In 120 Ziegeleien rund um die Hauptstadt Nepals arbeiten Kinder und ihre Eltern um einen Hungerlohn und verlieren dabei ihre Gesundheit.
Die Stadt im fruchtbaren Kathmandu Tal wächst unkontrolliert. Fr. Joe Thaler, ein Maryknoll Missionar aus Northern Kentucky/USA lebt seit 1977 in Nepal. Er beschreibt das Grundproblem: Seit den politischen Unruhen – von 1996 bis 2006 befand sich die kommunistische Partei in einem Bürgerkrieg gegen die hinduistische Monarchie – gibt es ein Heer an Binnenflüchtlingen, die meisten strömen in die Hauptstadt und brauchen ein Dach über dem Kopf. Sie kommen aus dem armen Westen des Landes. Oft sind es einfache Bauern, die zwischen die Fronten der Maoistischen Guerilla und Regierungstruppen geraten waren. Von beiden Seiten wurden sie der Kollaboration verdächtigt. 2005 waren es an die 75.000 Menschen, die so vor den Krieg flohen. Die Wohlhabenden unter ihnen investierten ihr Geld in Ziegelfabriken. Für die Ärmsten, die alles verloren hatten reichte es nur für die Arbeit an den Brennöfen.
Nepal ist eines der kleinsten und ärmsten Länder der Erde, eingekeilt zwischen den beiden größten Staaten Asiens: China und Indien. Wanderbewegungen und Migration bestimmen das von Landwirtschaft geprägte Land zwischen den Bergen des Himalaya und den Ebenen des Ganges. An die 700.000 Nepalesen arbeiten im Ausland, im Gegenzug ziehen die Berge hunderttausende Trekkingtouristen an. Wer allerdings im März (Trockenzeit) in Kathmandu landet, kann im Smog der Ziegelfabriken die höchsten Berge der Erde am Horizont kaum ausmachen. An die 800.000 Tonnen Kohlenstoff werden durch die Schlote der Ziegelfabriken in die Atmosphäre geblasen. Auf den Internetseiten der Trekkingtouristen wird dieser Ausstoß für das Schmelzen der Gletscher am Himalaya mitverantwortlich gemacht. Viel schlimmer ist, dass der von den Kaminen freigesetzte Russ hochgiftig ist und bei Kindern und Erwachsene lebensgefährliche Gesundheitsschäden verursacht. Nira Lama, 4 Jahre alt, leidet bereits an einer chronischen Atemwegsinfektion und muss immer husten. Jyoti Devokota unterrichtet die Kinder und Eltern nicht nur in Hygiene, sie bietet auch eine medizinische Erstversorgung für die vielen Kranken an. Ein einfaches Hustenpräparat verschafft zwar Linderung, löst aber nicht das Grundproblem.
Arati Basnet, Gründerin der Organisation „Care & Development Nepal“ (CDO): „Es braucht ganzheitliche Bemühungen, die von der Hygiene, Gesundheit, Ernährung über die Müttervorsorge, bis hin zu verbesserten Arbeitsbedingungen und einer Bewusstseinbildung und Schulbildung für die Kinder reichen. Nur so können wir das Leid lindern.“ Der Maryknoll Missionar Fr. Joe Thaler hat die diplomierte Sozialarbeiterin nach ihrem Studium kennengelernt und gefördert. So konnte sie ab dem Jahr 2005 ein inzwischen vom Staat und auch von der Caritas Nepal anerkanntes Hilfswerk aufbauen. Frau Arati Basnet hat selbst Migrationshintergrund: Ihre nepalesische Familie wurde wie viele andere Einwanderer Anfang der 1990er Jahre aus dem Königreich Bhutan vertrieben. Danach besuchte sie eine Missionsschule der St. Philomena Schwestern in Darjeeling. Dort wurde ihr Engagement für die Schwachen und Ausgegrenzten geweckt: „Nach dem Schulunterricht sind wir mit den Schwestern in die umliegende Dörfer gegangen und haben die Armen mit dem Nötigsten versorgt. Danach wollte ich unbedingt Sozialarbeit studieren. Und heute führe ich mit Fr. Joe Thaler das weiter, was ich bei den Schwestern in Nordostindien gelernt habe.“
Die Gegend von Lalitpur ist trostlos, dabei stehen die Fabriken auf fruchtbarsten Boden. Für die Ziegelproduktion wird das meterhohe Schwemmland auf 1350 Höhenmetern hier in Saisonarbeit schachbrettförmig abgetragen. Von Jänner bis Mai werden Ziegel gestampft, im Rest des Jahres wird soweit wie möglich Reis angepflanzt. Durch den Bodenraubbau wird der Ertrag von Jahr zu Jahr geringer. Suba (46) und Saili Lama (39) leben mit ihren fünf Kindern, Raju (24), Rajan (18), Hira (21), Meera (15) und und der kleinen, hustenden Nira (4), in einer Hütte aus ungebrannten Ziegeln, ohne Trinkwasser und sanitäre Anlagen. Ein Rinnsal und Tümpel vor der Hütte, in dem Lehm getreten wird, dienen als Waschplatz für das Geschirr und für die tägliche Toilette. Diese „Pools“ sind gefährlich, jährlich ertrinken bis zu 5 Kinder darin. Die Behausung ist keine zwei Meter hoch, es gibt kein Licht und keine Fenster. Innen: eine einfache Reisstrohmatte, ein paar Habseligkeiten und eine kleine Feuerstelle. In guten Zeiten ist zweimal am Tag Essen angesagt, aber es gibt kaum Gemüse und Fleisch und so überrascht es nicht, dass 90 Prozent der Kinder unterernährt sind.
Der Boden der Umgebung gleicht einer Mondlandschaft. Die sengende Hitze auf dieser Höhe verursacht bereits bei den Kleinkindern Hautschäden und Pilzinfektionen. Das karge Einkommen (ca. 25 Euro/Monat) reicht nicht. In Notfällen verschulden sich die Familien. Drogenmissbrauch und Menschenhandel finden hier einen guten Nährboden. Jährlich werden in Nepal 20.000 Mädchen zwischen 8-18 Jahren an das Sexgewerbe nach Indien verkauft. Arati Basnet und ihr Ehemann Pradeep Suwal haben selber Kinder von der Straße in ihr Haus aufgenommen und werben in einem „Scholarship-Programm“ dafür, dass Kindern aus den Ziegeleien eine gute Schulausbildung finanziert wird. Gut situierte Familien aus Europa oder aus den Staaten, wie Jim und Charlotte Nobel aus Iowa/USA, Freunde der Maryknoll Missinare, wurden geworben, um eine Patenschaft zu übernehmen. 45 Schulkinder werden derzeit auf diese Weise unterstützt. 150 Kinder aus sechs Fabriken können in die von CDO gegründete Schule mit angeschlossenem Kindergarten gehen.
Arati Basnet wird nicht müde zu betonen, das Bildung der Schlüssel für eine bessere Zukunft ist – aber da sind auch noch die jungen, viel zu früh werdenden Mütter und die viel zu hohe Kindersterblichkeit. CDO hat auch dafür ein ambitioniertes Pilotprojekt entwickelt und Pradeep Suwal hofft mit seiner Frau Arati, dass Fr. Joe Thaler mit seinem Netzwerk eine internationale Unterstützung möglich macht.
Es ist Zeit. Arati eilt zu den Kindern, die aus der Schule stürmen. Zum Abschied rufen sie der winkenden Lehrerin laut zu: „Tashi delek! Tashi delek!“ Dieser alte, ursprünglich aus Tibet kommende, Gruß heißt soviel wie: Möge es dir wohlergehen!
CDO Nepal im Internet: www.caredevelopment.org